von Michael Weiss, OSM (Orthopädieschumachermeister, Handwerkskammer München)

Zusammenfassung

Thema: Wirkungsnachweis für die Versorgung mit Hilfsmitteln: Kann die körpereigene Biomechanik einen signifikant messbaren Wirkungsnachweis bei der Versorgung mit Einlagen geben?
Einleitung: Jeder trägt Einlagen in seinen Schuhen – früher oder später! Wie kann für den Patient die Einlage mit der „besten“ Wirkung quantifiziert werden? Die vorliegende Studie versucht, diese Frage der Wirksamkeit anhand des Grades der Kopfdrehfähigkeit zu beantworten.
Fragestellung: Verändert sich die Kopfdrehfähigkeit durch eine Einlagenversorgung nicht (H0), oder verändert sie sich (H1)?
Material und Methoden: Mit einem digitalen Winkelmessgerät (HMSU) kann die Kopf- und Halsdrehung dargestellt und verglichen werden. Die Parallel-Studie untersucht vorhandene Daten von Personen, die im Zeitraum von 2016 bis 2022 mit dem HMSU, im Rahmen von alltäglichen Einlagenversorgungen gesammelt wurden.
Ergebnis: Verglichen wurden Barfuß-Messung (B) zu versorgter Messung mit Einlagen (nE) bei 1439 Personen. Der Vergleich konnte mit durchschnittlich 44° Grad Verbesserung der Kopfdrehfähigkeit einen starken Versorgungs-Effekt zeigen, also H1 unterstützen. Dies ist auch ein deutlicher Beweis dafür, dass Manipulationen unter den Füßen, die Biomechanik der vertikal verlaufenden Muskelketten, die am Kopf enden, beeinflussen.
Diskussion: Es werden mögliche Problematiken zum Messvorgang und zum Gebrauch des Messgerätes ebenso diskutiert wie mögliche Beeinflussungen, die bei der Datenerhebung störende Auswirkungen haben könnten. Durch den Transfer dieser Mess-Anwendung (HMSU) auf andere Versorgungen könnte eine bessere und ressourcenschonende Rehabilitation der Patienten erreicht werden.

Einleitung

Jeder trägt Einlagen – früher oder später. Zum Sportsupport, zur Prophylaxe oder aus orthopädischen Gründen zur Rehabilitation.

Was ist für den Patienten die „richtige“ Einlage? Bekannt ist, dass Einlagen in erster Linie vorhandene Fußproblematiken wie Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen beseitigen sollen. Einlagen sind ein Medizinprodukt [1], das nicht nur in Deutschland und Europa millionenfach in unterschiedlicher Darreichungsform abgegeben wird.

Eine immer wiederkehrende Frage ist, wie die positive Wirkung von Einlagen nachgewiesen werden kann. Oder: Leistet eine Einlage das, was sie verspricht? Diese Fragen stellt sich jeder, der Einlagen verschreibt, herstellt, oder in seinen Schuhen trägt. Die Frage wird durch die Vorstellung erschwert, dass die Wirkung von Einlagen über die Funktion des Fußes hinausgeht.

Ein Rehabilitationserfolg wird nach Augenschein und Patientenzufriedenheit eingeordnet. Die Frage und damit Inhalt dieser Studie ist es: Wie kann der Organismus, ohne großen Aufwand zwischen Fuß und Kopf abgefragt, gemessen und verglichen werden ob die angedachte Einlage gut für den Patienten ist, ob sie tatsächlich Rehabilitation schafft?

So sollen folgende Punkte zur Überprüft werden:

  • Wie kann die aktuelle Situation, der Zustand des Körpers schnell und sicher erfasst oder abgefragt werden?
  • Was zeigt uns sofort Verbesserungen, was zeigt uns Verschlechterungen einer Versorgung?

Es gibt zahlreiche Autoren, die den Zusammenhang zwischen der Fußfunktion und beispielsweise der Körperhaltung [2, 3], der Okklusion [4, 5, 6], der kraniomandibulären [7] und der Wirbelsäulenfunktion betonen [8, 9, 10, 11]. Darüber hinaus liefert das Konzept der BioTensegrity [12, 13] eine biomechanische Grundlage für unsere Einlagenversorgung unter zwingender
Berücksichtigung der Gravitation sowie des „Röhrendrucks“ der einzelnen Körperabschnitte [14].

Ändert sich also der sensorische [15] Bodenkontakt der Füße, z.B: durch eine Einlage, so könnte es, über die Biomechanik der senkrecht verlaufenden Muskelketten unseres Körpers, auch an der Hals- und Kopfbewegung Veränderungen geben.

Insbesondere wegen des großen Abstands zwischen Fuß und Kopf könnte die veränderte Nackenbewegung ein wertvoller Indikator für die Wirkung von Einlagen auf die körpereigene Biomechanik sein.

Es wird angenommen, dass ein vergrößerter Bewegungsumfang, also eine verbesserte Fähigkeit den Kopf zu drehen, als eine allgemeine Verbesserung der Statik und der Haltungsregulation angesehen wird. Dies wird durch die Grundsätze aus der Physio-, Osteo-und Podotherapie bestätigt, wo die Funktion der oberen Halsgelenke als wichtiger Parameter für Einflüsse jeglicher Art auf das Körpersystem angesehen wird. Diese Bewegung wird als Range Of Motion (ROM) bezeichnet.

Für die genaue Erfassung der Kopf-Nacken-ROM in einer klinischen Umgebung ist jedoch ein geeignetes und genaues Gerät erforderlich. Es gibt Systeme zur Messung des Nackenbewegungsumfangs. Die meisten Systeme sind jedoch ungenau, schwer abzulesen und zeichnen die Messungen nicht automatisch auf. Andere Geräte sind aufgrund des Preisniveaus für die regelmäßige Praxis schwer zu erreichen. Deshalb wurde ein Messgerät entwickelt, mit dem die Kopf-Hals-ROM einfach und schnell gemessen und aufgezeichnet werden kann (HeadMountSupportUnit, HMSU). Die Validität dieses Instruments wurde in früheren Studien ermittelt. [16]

In der vorliegenden Studie wird untersucht, ob das Gerät in der Lage ist, den Einfluss von Einlagen auf die Kopf-Nacken-ROM zu erkennen. Wenn die Unterscheidungsfähigkeit der HMSU nachgewiesen werden kann, könnte das System ein Werkzeug sein, um die Wirkung von Einlagen objektiv zu bestimmen.

Für die Parallel-Studie wurden die gesammelten HMSU – Daten von 2/2016 bis 12/2022 zu Grunde gelegt und folgende Hypothesen benannt:

Die Nullhypothese H0: Die Kopfdrehfähigkeit verändert sich durch eine Einlagenversorgung nicht.

Die Alternativhypothese H1: Die Kopfdrehfähigkeit verändert sich durch eine Einlagenversorgung.

Material und Methoden

Die ROM wurde mithilfe eines digitalen Goniometers (HMSU) [17] gemessen. Dieses Messgerät besteht aus einem Sensor [18 ]und einen grünen Linienlaser [19] sowie einem Kabel zum PC und einem Haarreif. Das Gehäuse für die Verbindung der einzelnen Bauteile wurde im 3DDruck hergestellt. Das komplette Gerät wiegt knapp 100 g.

Der verbaute Sensor, der die Kopfdrehung misst, ist mit je einem 3-Achsen Beschleunigungssensor, Magnetfeldsensor (Kompass) und Gyroskop ausgestattet und arbeitet als USB-Inertialsensor. Dieser kann neun Freiheitsgrade messen und berechnet Quaternionen sowie auch unabhängige Gier-, Roll- und Nick-Winkel. Es ist ein vollständiges Attitude–and–Heading–Reference-System. Die Genauigkeit wird laut Hersteller mit 1-2°Grad angegeben [20]. Für die Anwendung in dieser Studie
werden nur die horizontalen Messwerte ausgelesen.

Bei den Patienten handelt es sich um Personen verschiedenen Alters und Geschlechts, die eine Einlagenversorgung vom Arzt verschrieben bekommen haben oder wegen Schmerzen an Fuß oder Bewegungsapparat, aus eigenem Antrieb eine Einlagenversorgung anstrebten. Die Patientengruppe unterliegt nur in soweit einer gewissen Vorauswahl, als vermieden wurde Patienten mit bekannter, degenerativer Halswirbelsäule zu testen. Alle Messungen wurden im Rahmen einer regulären
Einlagenversorgung wie folgt vorgenommen:

Das HMSU wird mit dem Haarreif auf dem Kopf der Patienten gesetzt. Die senkrechte Laserlinie wird mittig fluchtend zur senkrechten Gesichtsachse des Patienten ausgerichtet. Das kann durchaus „schief“ sein wenn der Kopf „schief auf dem Hals“ sitzt. Wichtig ist, dass die Kopfhaltung eine realistische und naturgetreue Messsituation möglich macht. Der Patient schaut „gerade“ aus und bringt den Laser auf einen externen Nullpunkt vor sich. Dieser Nullpunkt wird über das Programm vor jeder Messung aktualisiert. Anschließend wird der Patient aufgefordert seinen Kopf langsam und soweit wie möglich nach links zu drehen, wieder zum Nullpunkt und dann nach rechts. Dabei fixiert der Untersucher den Patienten leicht an den Schultern, um ein Mitdrehen des Oberkörpers zu verhindern. Das HMSU übermittelt die ROMDaten an ein Computerprogramm, das die Winkelmessungen visuell und tabellarisch darstellt.

Jeder Patient wurde zuerst ohne und anschließend mit der Einlagenversorgung gemessen. Zwischen den beiden Messungen lagen wenige Minuten. Jeweils die Messung mit der größten ROM, ohne (B = barfuß) und mit Einlage (nE = neue Einlage) wurde beschriftet und in der Patientenakte gespeichert. Alle Patienten wurden mit individuell angepassten, neurophysiologischen Einlagen [21] versorgt.

Aus dem Datenpool (2988 Patienten) der sich von 2/2016 bis 12/2022 angesammelt hatte, konnten die Daten von 1439 Patienten ausgewertet werden. Die einzelnen Messungen dieser Daten waren so genau beschriftet, dass sie gut ins Verhältnis gesetzt und berechnet werden konnten.

Die Barfußmessung (B) zeigt den Ausgangszustand, die Messung (nE) zeigt die Veränderung durch die unterlegten neuen Einlagen.

Es wurde von 1453 Patienten die ROM der Barfußmessung (B) mit der ROM der Einlagenversorgung (nE) verglichen (Abb. 1).

Zur Auswertung der Datenpaare, wurde jeweils die Winkelsumme aus der Drehung nach links und rechts ohne und mit Einlage ermittelt.

So ergab sich für jeden Patienten ein Datenpaar mit einer ROM „barfuß“ gemessen und einer ROM mit „neuer Einlage“ gemessen. Manche Patienten kamen mehrmals, so gibt es auch mehr Messungen wie Patienten. Als Signifikanzniveau für den verbundenen, zweiseitigen t-Test wurde α = 0,005 festgelegt. Die Auswertung der Daten ergibt eine Teststatistik t = 127,49. Der kritische Wert bei einem Freiheitsgrad von größer 500 zum Signifikanzniveau 0,005, beträgt 2,586 [22].

Ergebnisse

Veränderung der Kopfdrehfähigkeit von „Barfuß“ und „mit Einlage“: Bei der Auswertung der Daten wurde eine Normalverteilung der Winkelsummen (ROM) aus Links- und Rechtsdrehung des Kopfes ohne Einlage festgestellt. Bei der Messung ohne Einlage war der kleinste Wert eine ROM von 67,9 Grad, die größte ROM lag bei 288,6 Grad. Der
Mittelwert lag bei 176,0 Grad, mit einer Standartabweichung von 28,0 Grad.

Auch die Unterschiede der Kopfdrehfähigkeit der Patienten bei der Messung mit Einlagenversorgung waren normalverteilt. Bei den Messungen mit Einlage war ROM-min 99,9 Grad und ROM-max 310,8 Grad. Im Mittel lagen die ROM´s bei 220,0 Grad bei einer Standardabweichung von 30,0 Grad.

Die Ergebnisse werden zusammen in Abbildung 2 gezeigt.

Bei 2565 Patienten-Messungen vergrößerte sich die ROM, bei 6 Patienten-Messungen wurde die ROM mit Einlage kleiner. Die Veränderung der ROM der Kopfdrehfähigkeit nach links und rechts zwischen der Messung ohne und mit Einlage lag im Mittel bei einer Zunahme von 44,0 Grad, bei einer Standardabweichung von 17,0 Grad.

Um die statistische Signifikanz dieser Ergebnisse zu prüfen, testen wir sie anhand der benannten Hypothesen.

Da die Teststatistik mit 127,49 größer ist als der kritische Wert von 2,586 ist der Unterschied der Mittelwerte signifikant. Die Nullhypothese kann also mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,5% abgelehnt werden. Die entsprechende Korrelationskoeffizient nach Pearson23 betrug r = 0,93. Die Messungen zeigen also, dass die Einlagenversorgung einen statistisch signifikanten Einfluss und eine sehr starke Wirkung auf die Kopfdrehfähigkeit des Patienten hat.

Diskussion

In dieser Studie konnte eine signifikante Verbesserung der Kopfdrehfähigkeit bei 2565 von 2571 Patientenmessungen, nach der Versorgung mit neurophysiologischen Einlagen beobachtet werden. Die sechs Messungen ohne Veränderung oder mit Verschlechterung könnten darauf hinweisen, dass keine Einlagen (mehr) benötigt werden. Möglichkeiten hierfür könnten sein: Rehabilitation oder die ursächliche Pathologie muss anders adressiert werden.

Die Vergrößerung der Winkelsumme der Kopfdrehung von „B“ zu „nE“, nach links und rechts lag im Mittel bei 44° Grad. Die Werte sind ein starker Hinweis auf die positive auch Wirkung der Versorgung.

Neurophysiologische Einlagen [24] zielen darauf ab, die gesamte Körperstatik [25] und Biomechanik von einer pathologischen Veränderung, wieder in ihre physiologische Funktion zu bringen. Auf lange Sicht könnten die Einlagen (fallabhängig) sogar überflüssig werden (1,5 bis 3 Jahre Tragezeit). Ein Augenmerk während der Versorgung gilt dabei einem möglichst „geraden“ (neutral-0) Becken, einer möglichst symmetrischen Kopfdrehung und einer guten Aufrichtung des Organismus.

Durch den einfachen Versuchsaufbau den das HMSU-Program braucht, ist es leicht möglich die Kopfdrehfähigkeit, hier Range of Motion (ROM) genannt, ohne (barfuß) und mit Manipulation (Einlage) sicher und schnell abzufragen, zu dokumentieren und so für jeden Patienten einen direkten Wirkungsnachweis und, möglicherweise, die Rehabilitation des Bewegungsapparates aufzuzeigen.

Immerhin sind neben Stabilität und Kontrolle der Haltungsregulation, größere Bewegungsauslenkung und flüssige Beweglichkeit DAS rehabilitative Ziel einer jeden Beübung.

Durch die Schnelligkeit und die Einfachheit in der Anwendung des Messsystems lässt sich dieses Werkzeug im betrieblichen Alltag gut für Versorgungen und deren Dokumentation einsetzen.

Als Nächstes stellt sich die Frage, ob das wiederholte Drehen des Kopfes zu einer Dehnung der Muskulatur und der Bänder des Nackens führt, was unabhängig von der Einlage zu einer Verbesserung der Kopfdrehfähigkeit führen könnte.

Dieser Punkt kann durch die Beobachtung entkräftet werden, dass die Kopfdrehfähigkeit auch wieder abnimmt, wenn man anschließend an die Messung mit Einlage noch einmal ohne Einlage, also wieder barfuß misst.

Gleichzeitig konnte bei vielen Patienten zunächst eine Art muskulärer Memoryeffekt beobachtet werden: Entfernte man die Einlagen, so hielt der positive Effekt der guten ROM noch einige Sekunden an bevor er abebbte und verschwand. Das lässt vermuten, dass sich die Muskulatur der Haltungsregulation den guten Support sofort „merkt“ und auch ohne die Einlagen versucht diese optimaleren Muskeltoni wieder herzustellen. Hierzu wäre weitergehende Forschung äußerst interessant.

Um jedoch Fehlinterpretationen der Messungen auszuschließen, sollten die Probanden vor der ersten Testung mehrmals den Kopf nach links und rechts drehen. Grundsätzlich sind beim Anfertigen solcher Messungen einige Dinge zur Situation an sich zu beachten. Siehe hierzu den Anhang: Voraussetzung für gute Messergebnisse. [26]

Wichtig erscheint auch, dass die Testsituation so wenig aufregend und angenehm wie möglich für die Patienten verläuft. So wurde, zum Einen, aus ethischen Gründen, darauf verzichtet, die Schultern der Patienten an fest montierten Vorrichtungen zu fixieren, um so möglichst genaue Messergebnisse der reinen Kopfdrehung zu erhalten. Zum Anderen würde eine feste Fixierung der Schultern eine hier gern gesehene Aufrichtung der Postur verhindern.

Dieser kritische Punkt kommt immer gern als mögliche Schwachstelle der Datenerhebung in die Diskussion, da nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass der Untersucher bewusst oder unbewusst den Patienten in seiner Bewegung beeinflusst. Die Erfahrung und eine interne Studie27 mit wechselnden Untersuchern zeigen jedoch, dass geübte Testende sehr gut einschätzen können wie die Probanden an den Schultern gehalten werden müssen, um realistische Testergebnisse zu kommen. Im Rahmen eines individuellen, persönlichen Bewegungsmusters dreht jede:r Patient:in auf eigene Art und Weise.

Als bestes Herangehen hat sich das seitliche Umfassen der Schultergelenke mit den Händen durchgesetzt. Anfänglich gab es die Idee die Hände auf die Schultern, nahe an den Hals zu legen. Das ist jedoch für manche Patienten sehr unangenehm und macht außerdem zu viel palpatorischen Druck auf kopfhaltende Strukturen, die man beim Testen gerne „frei“ wissen möchte. Außerdem bietet es wenig effektiven Halt gegen ein mögliches Mitdrehen des Schultergürtels und Rumpfes seitens des Patienten. Das seitliche Festhalten der Schultergelenke ermöglicht auch bei großen und kräftigen Personen, einen guten Ansatz, um ein eventuelles Mitrotieren des Schultergürtels zu verhindern.

Die eigentliche Testung mit der Unterlegung der kleinen Keile, die sich dann in der Einlage wiederfinden, kann in wenigen Minuten durchgeführt werden. Die Einlage selbst wird nicht in einem Stück unterlegt, sondern aufbauend wird jedes Keilchen auf seine Wirksamkeit getestet. Verändert sich die Kopfdrehung durch das hinzugefügte Keilchen positiv bleibt es liegen, testet es negativ wird es wieder entfernt. Sicherlich sollte auch berücksichtigt werden, dass sich bei dieser Art der Versorgung viel Zeit für die Patienten genommen wird. Der Erstbesuch ist mit einer Dauer von 1 Stunde veranschlagt (der Kontrollbesuch mit einer halben Stunde) dabei wird ein umfassendes, ganzheitliches Bild des Patienten und seiner körperlichen Problematik erfasst. Hieraus könnte ein Care-Taking-Effekt entstehen, der sich positiv auf die Messergebnisse auswirkt.

Ein wichtiger Punkt während des ersten Besuchs ist auch die Beratung der Patienten zum richtigem Schuhwerk für die Nutzung mit Einlagen. Hier nur eine kurze Liste der oft angetroffenen Wirkungskiller: Zu weicher Sohlenbau, zu kurze, zu enge Schuhe, falsche Schnürung, zu enge Socken28, eingebaute Längsgewölbestützen oder zu lange Zehenkappen schmälern den Erfolg einer Versorgung immens.

Die Patientengruppe unterliegt wie in Material und Methoden schon erwähnt nur in soweit einer gewissen Vorauswahl, als vermieden wurde Patienten mit bekannter, degenerativer Halswirbelsäule zu testen, was sich auf die Ergebnisse auswirken könnte. Hier wären kontrollierte Studien mit randomisierten Gruppen schön.

Ein gewisser Placeboeffekt lässt sich nicht ausschließen, da die Patienten mitbekommen, dass Manipulationen durch die Keilchen, unter den Füßen vorgenommen werden. Dagegen spricht, dass ein falsches oder störendes Keilchen sofort zu weniger Kopfdrehung führt. Eine Doppelverblindung lässt sich hier nur schwer erreichen. Studien in denen zumindest der Untersucher verblindet wird, setzten unbedingt einen gleichen Ausbildungslevel bei den teilnehmenden Untersuchern voraus.

Diese Studie zeigt das große Potential welches das Messen der Kopfdrehfähigkeit hat.

Als weiterführende Überlegung aus den positiven Ergebnissen stellt sich die Frage, ob nicht jede Versorgung auf eine Verbesserung der Kopfdrehfähigkeit hin überprüft werden sollte. Immerhin können mit dieser Methode alle senkrechten Muskelketten ohne viel Aufwand abgefragt werden. Sicherlich gibt es wenige Fälle bei denen keine sofortige Verbesserung erreicht werden kann, aber auch hier sollte langfristig eine Verbesserung der Kopfdrehfähigkeit das Ziel sein. Nicht nur Einlagen, sondern auch Schuhe, Schuhzurichtungen und andere Hilfsmittel könnten dann mit einer solchen Überprüfung in ihrer Wirkung bewertet werden. Wird mit der Versorgung keine Verbesserung der Kopfdrehfähigkeit erreicht kann das ein Hinweis sein, dass die Problematik der Patienten andere Ursachen hat und nicht über biomechanische Manipulation vom Fuß her erreicht werden kann. Neben einer Ressourcenschonung könnte damit auch viel Frust für Patient:innen und Versorger:innen erspart werden.

Zusammenfassung

Kann die körpereigene Biomechanik einen messbaren Wirkungsnachweis für die Sicherheit bei der Versorgung mit Einlagen geben? Hält eine Einlage was sie verspricht? Kann die Wirkung von Einlagen sichtbar gemacht werden? Ist eine messbare Kopfdrehfähigkeit ein Indikator für diese Hypothesen?

Über einen Zeitraum von 6 Jahren, wurden mit dem Messsystem HMSU, einem digitalen Winkelmesser, Daten von 2988 Patienten gesammelt. Aus diesem Pool konnten von 1439 verschiedenen Patienten insgesamt 2571 Datenpaare von horizontaler Kopfdrehfähigkeit ausgewertet werden.

Verglichen wurde: Barfuß-Messung (B) zu versorgter Messung mit Einlagen (nE).

Durch die Auswertung der Daten „B“ zu „nE“ konnte eine signifikante Vergrößerung der Winkelsumme der Kopfdrehung nach links und rechts bei 2565 von 2571 Patientenmessungen, die mit neurophysiologischen Einlagen versorgt wurden, nachgewiesen werden. Im Mittel lag die Verbesserung bei 44 Grad und stellt somit einen starken Effekt dar.

Die Kopfdrehfähigkeit wird als probates Mittel zur Überprüfung der Wirksamkeit von Einlagen gesehen. Gleichzeitig wurde mit dieser Studie ein deutlicher Beweis erbracht, dass Manipulationen unter den Füßen, die Biomechanik der vertikal verlaufenden Muskelketten, die am Kopf enden, beeinflussen.

Diskutiert wird wie der Versuchsaufbau verbessert werden kann, um eine mögliche Beeinflussung durch den Untersucher, sowie mögliche Effekte durch Dehnung der Muskulatur und Bänder, Care-Taking-Effekt und Placebo zu minimieren. Ebenso wird auf die Wichtigkeit des richtigen Schuhwerks verwiesen. Vor dem Hintergrund der guten Ergebnisse wird abschließend überlegt, ob ein Transfer dieser Mess-Anwendung (HMSU) auf andere Versorgungen möglich ist, was gleichzeitig ein Auslöser für mehr Forschung sein könnte.

Durch die Einfachheit und Schnelligkeit in der Anwendung des Messsystems lässt sich dieses vergleichsweise günstige Werkzeug im betrieblichen Alltag gut für Versorgungen einsetzen und eine deutliche Kosten- und Ressourcenersparnis erzielen, da schon während der Testphase erkannt wird wie die Einlage aufgebaut sein muss. Das HMSU – System schafft auch durch seine gute Dokumentationsmöglichkeit die gewünschte Sicherheit in der Versorgung von Patienten.

Weitergehende Forschung mit randomisiertem, kontrolliertem Studienaufbau wären wünschenswert.

Nebenauswertung der Studiendaten

Material und Methode

Aus den gleichen Daten des vorgenannten Poolsn(1453 Patienten) haben sich nochmals 528 (B1) Patienten isolieren lassen die im Zeitraum von 3-12 Wochen zu einer Nachkontrolle kamen. Hier wurde je Patient eine 2. Barfußmessung (B2) durchgeführt.

Die erste Messung (B1) zeigt den Ausgangszustand, die zweite Messung (B2) zeigt die veränderte Kopfdrehfähigkeit des Patienten nachdem die Einlage 3 bis 12 Wochen getragen wurde.

Ergebnisse

Der Vergleich von Barfuß-B1 zu Barfuß-B2 nach 3-12 Wochen mit durchschnittlich 16° Grad Verbesserung der Kopfdrehfähigkeit konnte zu dem den starken rehabilitativen Effekt der Versorgungen aufzeigen.

Veränderung der Kopfdrehfähigkeit nach 3-12 Wochen: Bei B1 zeigten die 528 Patienten eine mittlere ROM von 171 Grad, bei einer Standardabweichung von 27 Grad. Bei B2 lag sie bei 187,0 Grad (SA = 29). So liegt der Mittelwert der Veränderung der ROM bei 16,0 Grad, bei einer Standardabweichung von 24 Grad. Es zeigt sich also, dass die Einlagenversorgung einen statistisch signifikanten Einfluss auf die ROM des Patienten nach 3 bis 12 Wochen hat (t = 15,00, α = 0,005, n = 528). Bei der Barfußmessung nach dem Tragen der Einlagen für 3 bis 12 Wochen können die Patienten signifikant weiter mit dem Kopf nach links und rechts drehen, als vor der Einlagenversorgung. Der Korrelationskoeffizient nach Pearson liegt bei r = 0,55 und entspricht damit einem starken Effekt (Abb. 3).

Diskussion

Der Vergleich von Barfuß-B1 zu Barfuß-B2 nach 3-12 Wochen mit durchschnittlich 16° Grad Verbesserung der Kopfdrehfähigkeit konnte zu dem den starken rehabilitativen Effekt der Versorgungen aufzeigen.

Diese Studie zeigt zum Einen das große Potential, welches a) das Messen der Kopfdrehfähigkeit schon während der Versorgung hat, aber auch b) von neurophysiologischen Einlagen selbst. Intensivere Forschung mit kontrolliertem Studiendesign wäre auch hier wünschenswert.

Anhang

Die Anhänge 1 bis 5 können hier aufgerufen werden.

Literatur

[1] MDR: Medical Device Registration. Eine Europäische Richtlinie zum Inverkehrbringen von Hilfsmitteln mit Gesetzescharakter. Übergeordnete Klinische Bewertung der Sonderanfertigungsprodukte Einlagen, Dokument: DGIHV Klinische Bewertung_Sondereinlagen_2021-01-27, Datum: 27.01.2021

[2] Tom Myers, Anatomy Trains, 3. Auflg. 2015, Elsevier Verlag, ISBN: 978-3-4375-6733-9

[3] Kirsten Götz-Neumann, Gehen – Verstehen, Thieme, 4. Auflage, 2015, ISBN 9783131323743

[4] Dr. P. Ridder, Craniomandibuläre Dysfunktion, 4.Auflage, ELSEVIER, ISBN 978-3-4375-8633-0

[5] Dissertation, Katrin Riedlinger: Der Zusammenhang zwischen Temporomandibulärer Dysfunktion und Schmerzen im Bewegungssystem. Eine Querschnittsstudie bei Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen, 2008 (Seite 71/73)

[6] Dr. Anette Jasper, Verzahnt, Riva-Verlg., 2019, ISBN 978-3-7432-0711-8

[7] Dr. med. dent. Jürgen Dapprich, Interdisziplinäre Funktionstherapie, Deut.Zahnärzte Verlag,2016, ISBN 978-3-7691-2998-4

[8] Orthopädie-Schuhtechnik, 3.Auflg. 2018, Baumgartner, Möller, Stinus, Verlg.: C. Maurer, Seite 136fff, Kap. 20 Haltung und Haltungsregulation

[9] Ina Ter Harmsel(†), Wolfgang P. Schallmey, PodoOrthesiologie, Seite 17, Kap. 2.1, ML-Verlg, 2020, ISBN 978-3964743541

[10] Dr. B. Bricot, Posturologie, 2.Auflage 2017M. Lochner KG Heilbronn, ISBN 978-3-00-045332-8

[11] M. Weiß, Blauabdruck – neurophysiologische Einlagen – Schuhe, 2021, Schuh-Werk-Verlag, ISBN: 978-3-9823563-0-3

[12] Graham Scarr, Biotensegrity, The Structural Basis of Life, Handspring Publishing, 2018, ISBN 978-1-909141-84-1

[13] Tom Myers, Anatomy Trains, 3. Auflg. 2015, Elsevier Verlag, ISBN: 978-3-4375-6733-9

[14] Graham Scarr, Biotensegrity, The Structural Basis of Life, Handspring Publishing, 2018, ISBN 978-1-909141-84-1, Seite 65 ff.

[15] Dr. Wolfgang Laube, Sensomotorisches System: Physiologisches Detailwissen für Physiotherapeuten, 2009, Verlag Thieme

[16] Anhang 2, Messgenauigkeit und Anhang 4: 2018, (interne)Studie B (16 Personen). Ein Workshop mit Prof.Dr. G.J. Kleinrensink (NL) und J.P. van Wingerden (NL) zum Thema: »Kritische Überlegung in der wissenschaftlichen Forschung« Rummelsberg.

[17] Siehe auch: www.hmsu.de und Anlagen, Anhang 1: HMSU – HaedMountSupportUnit

[18] Tinkerforge, http://www.tinkerforge.de, IMU-Brick 2.0

[19] Picotronic, http://www.picotronic.de, picopage/de/product/detail/id/356694, LD520-5-3(12×60)

[20] Siehe: Anhang 2, Messgenauigkeit

[21] Orthopädie-Schuhtechnik, 3.Auflg.2018, Baumgartner,Möller,Stinus, Verlg.: C. Maurer, S. 54/55

[22] Lothar Papula, Mathematische Formelsammlung für Ingenieure und Naturwissenschaftler, 10. Auflage, ISBN 978-3-8348-757-1, Seite 514, siehe auch Anlagen, Anhang 5.

[23] Der Korrelationskoeffizient nach Pearson (Pearson-Korrelationskoeffizient) ist ein quantitatives Maß zur Beurteilung der Stärke der Beziehung zwischen zwei stetigen Merkmalen. Er beschreibt die lineare Komponente des Zusammenhangs zwischen den beiden Merkmalen.

[24] Orthopädie-Schuhtechnik, 3.Auflg.2018, Baumgartner,Möller,Stinus, Verlg.: C.Maurer, S. 54/55

[25] Ina Ter Harmsel (†), Wolfgang P. Schallmey, PodoOrthesiologie, Seite 17, Kap. 2.1, ML-Verlg, 2020, ISBN 978-3964743541

[26] Anhang 3: Voraussetzung für gute Messergebnisse

[27] Anhang 4: 2018, (interne)Studie B (16 Personen). Ein Workshop mit Prof.Dr. G.J. Kleinrensink (NL) und J.P. van Wingerden (NL) zum Thema: »Kritische Überlegung in der wissenschaftlichen Forschung« Rummelsberg.

[28] Anhang 4: 2017, (interne)Studie A (Workshop M. Weiß, L. Aich,16 Personen) Unterschiedlichen Auswirkungen/Ergebnisse je Person durch Messungen von 1) mit Schuhen, 2) mit Socken, 3) barfuß, 4) barfuß, mit „Retro“ und „Calc“ (retrokapitales und
calcaneares Element), Rummelsberg.

Danksagung

Vielen Dank an:
Dr. med. vet. Sophia Weiß-Krammer, M. Sc.
Stefan Krammer, Taching, D
Dr. Ph. Andrew Graham, Traunstein, D, GB
Jan-Paul van Wingerden, Spine & Joint Centre, Rotterdam, NL

Anschrift des Autors

Schuh-Werk & Statik M. Weiß
Mittlere Hofgasse 8
83278 Traunstein